Wissen kuratieren:
Der Projektmanager als Gesamtkunstwerk
Wer sich beruflich so positioniert, dass seine Leidenschaft und Substanz auf einen Markt treffen, der für die eigene Leistung zu bezahlen bereit ist – dann agiert man im Kern seiner beruflichen Identität. Das Fundament dafür bildet aber nicht nur die Substanz in Form der eigenen Qualifikationen und Erfahrungen: Um sich dauerhaft wirksam zu positionieren, fehlt noch ein weiterer entscheidender Aspekt.
Vollkommenheit gibt es nicht
Was macht mich in einer bestimmten Branche oder Nische erfolgreich? Die Antwort scheint erst einmal klar – der Beste in dieser Nische zu werden. Dies zieht aber die nächste Frage direkt nach sich: Wann bin ich denn der Beste? Wenn ich vollkommen bin, lautet die Antwort. Aber werde ich das jemals sein? Ganz klar: nein. Vollkommenheit ist nicht zu erreichen. Was aber gut zu erreichen ist: Sich ein Repertoire an ganz unterschiedlichen Fähigkeiten, Methoden und Tools zu erarbeiten, das – und darauf kommt es an – nicht nur aus dem eigenen Fachgebiet kommt.
Im Projektmanagement nehme ich sehr viele Kollegen und Kolleginnen wahr, die sich umfangreiche Methoden und Toolsets aus dem Projektmanagement-Umfeld aneignen und die ihre Projektmanagementzertifikate nicht nur bei einer Organisation erwerben, sondern gleich bei zweien oder gar dreien. Und das sogar angesichts der Tatsache, dass das Projektmanagement, wie wir es kennen, bald aussterben und es nur noch Product Manager und Scrum Master geben wird. Die traditionelle Projektmanager-Zertifizierung ist in meinen Augen beinahe schon hinfällig geworden – und diese Art der Projektmanagement-Methodik bzw. Tools sind nur ein kleiner Baustein in einem Gesamtmosaik oder Puzzle, das mich als Projektmanager und Mensch. Eine gewisse Vollkommenheit als Projektmanager erreiche ich nicht durch das unentwegte Lernen und Erwerben von Projektmanagement-Fachwissen, sondern indem ich mich mit ganz anderen Bereichen und Facetten beschäftige.
Coaching, Kommunikationsverhalten, Verhandlungsfähigkeiten, Flipcharts zeichnen, Schreiben, Speaking, Improtheater – dies sind Beispiele für Weiterbildungen, die ich im letzten Jahr besucht habe. Vielleicht fragen Sie sich: Will er jetzt auf die Theaterbühne, oder was? Nein, will ich nicht! Aber alle diese Fähigkeiten, auch das Improtheater, sind Bausteine, die auf mich, meine persönliche Entwicklung und meine Vollkommenheit als Projektmanager, mein Expertentum und damit auf meine Substanz und auf meine Erfahrungen nachhaltig einzahlen. Sie lassen mich als Projektmanager wirksamer werden, bieten mir einen breiteren Fundus an Möglichkeiten als denjenigen, die sich nicht weiterbilden. Meine Workshops im Rahmen meiner Einsätze als Turnaround-Projektmanager sind um Längen besser – laut meiner Teilnehmer –, seit ich gelernt habe, beispielsweise meine Flipcharts lebendig zu illustrieren, und in der Moderation Methoden und Stilmittel aus dem Improtheater einsetze.
In den letzten fünf Jahren habe ich mich im Schnitt 30 Tage pro Jahr weitergebildet. Sicher: Ich bin selbständig und habe diesbezüglich andere zeitliche und finanzielle Möglichkeiten als ein angestellter Projektmanager. Aber ich kenne auch viele Selbständige, die es nicht für sinnvoll halten, sich weiterzubilden. Sie ziehen sich auf die Position zurück: „Ich mache Training-on-the-job, ich lerne hier jeden Tag genug!“ Das ist auch ganz unbestritten so. Diese Dinge, die wir alle täglich in unseren Projekten erfahren und erleben, sind wichtig. Sie zahlen auf unsere Qualifikation, Erfahrung und damit unsere Substanz ein. Nichtsdestoweniger gilt es über den Tellerrand hinauszublicken – sich aus vielen verschiedenen Lernfeldern, Wissensmöglichkeiten, Trainings und Workshops die Dinge herauszusuchen und ganz bewusst anzugehen, die uns als Projektmanager eine ganz andere Basis bieten als nur die üblichen Projektmanagementmethoden und -tools. Deshalb: Kuratieren Sie Ihr Wissen jenseits der üblichen Felder! Suchen Sie sich bewusst aus, was Sie lernen wollen – in Weiterbildungen, durch das Lesen von Büchern oder indem Sie sich Vorbilder suchen und von diesen lernen. All das sind Möglichkeiten, Ihre Substanz als Projektmanager zu erweitern und als Mensch zu wachsen und zu einem „Gesamtkunstwerk“ zu werden. Dieses nachhaltige Verfolgen von Lernmöglichkeiten ist extrem wichtig. Weiterentwicklung ist alles. Stagnation ist Rückschritt. Und wenn ich nicht mehr an mir arbeite, wenn ich meine Wissensbasis nicht verändere, dann bleibe ich stehen. Das, was mich bis hierhin gebracht hat, wird mich nicht mehr weiterbringen.